Eigentlich wollen wir heute erst am Nachmittag los um den schlimmsten Verkehr zu vermeiden. Beim Frühstück sehen wir aber, dass kaum Autos unterwegs sind und machen uns dann doch auf den Weg. Nachts haben wir schon gehört, wie der Wind um unsere Hütte pfiff, aber das, was jetzt kommt, haben wir uns nicht vorstellen können. Wir sind kaum einen Kilometer weit gefahren als wir einfach nicht mehr gegen den Wind ankommen. Böen von 45 km/h waren heute gemeldet, aber das kann nicht stimmen, denn selbst im Turbo-Modus bergab bewegen wir uns kaum. Außerdem wechselt die Richtung schon mal einfach so, sodass wir mal nach rechts und mal nach links vom Fahrrad gedrückt werden. Eigentlich stehen wir mehr als wir fahren (um nicht einfach umzufallen oder wenn uns Autos überholen oder entgegenkommen 🙈), und nach 3 km überlegen wir, ob wir umkehren müssen. Allerdings sehen wir weit vor uns einen Radfahrer, der auch ständig anhält und genauso kämpft wie wir. Wir beschließen es noch ganz langsam weiter zu versuchen. Dann holen wir den Radfahrer ein als er eine Pause an einer nicht ganz so stürmischen Ecke macht. Es ist Giorgio, ein Italiener, den wir gestern schon 2x getroffen hatten (morgens an der Tankstelle in Skaidi und mittags an der Tankstelle in Olderfjord). Leider spricht Giorgio nur Italienisch und so muss Google-Übersetzer für unsere Unterhaltung herhalten... Wir versichern uns gegenseitig, dass wir ganz langsam und sicher weiterfahren. Vielleicht hat das ja geholfen, denn nach der nächsten Kurve fahren wir im Windschatten der Berge und es wird viel einfacher. Und selbst auf der nächsten Hochebene ist der Wind nicht so schlimm wie auf den ersten 5 Kilometern, und wir kommen tatsächlich langsam, aber ganz gut voran! Es gibt auch immer mehr Rentiere (mit Babys!), aber das hilft auch nicht wirklich zur Linderung der Nervosität, denn die größte Herausforderung der Reise liegt direkt vor uns: der Nordkaptunnel 😱, über den wir so viele Horrorgeschichten von Radfahrern gelesen haben! Der Tunnel ist ziemlich alt (aus den 80er Jahren), 7 km lang und führt unter dem Meer her - die tiefste Stelle liegt bei 220 m unter dem Meeresspiegel!!! Vor dem Tunnel stärken wir uns nochmal im Windschatten einer Hütte mit Bananen und Gummibärchen, packen uns warm, reflektierend und leuchtend ein 😉, und los geht's. Die Geschichten sind nicht aus der Luft gegriffen, denn zuerst geht es über 3 km sehr steil bergab über eine feuchte Straße und dann natürlich 4 km den ganzen Weg steil wieder nach oben. Immerhin ist der Tunnel etwas breiter und heller als ich befürchtet hatte, aber das Allerschlimmste ist der ohrenbetäubende Lärm!!! Autos hört man schon aus großer Entfernung heranbrüllen, lange bevor man sie sieht, und die Ventilatoren machen genauso einen Höllenlärm. Man weiß überhaupt nicht, ob Autos von vorne oder hinten kommen oder ob es nur die Ventilatoren sind - der Lärmpegel ist unerträglich! Natürlich ist auch der Gestank nicht zu verachten, und dabei könnte alles noch viel schlimmer sein, denn wir haben wieder mal unverschämtes Glück, weil nur sehr wenig los ist als wir im Tunnel sind - wir werden auf 7 km nur von 10 Autos, 3 Motorrädern und 1 LKW überholt (im Gegenverkehr begegnen uns rund 20 Fahrzeuge). Trotzdem ist die Erleichterung natürlich sehr groß als wir es geschafft und sozusagen die Nordkap-Feuertaufe bestanden haben! Endlich kann auch ich wieder die wilde Fjordlandschaft genießen und der nächste Tunnel von 4 km Länge geradeaus durch den Berg fühlt sich schon gar nicht mehr so schlimm an... Dann erreichen wir Honningsvåg, die letzte kleine Stadt vor dem Nordkap. Wir decken uns mit Proviant für die nächsten Tage ein und treffen die beiden Norddeutschen von gestern Abend wieder... So richtig begeistert von der Landschaft wie wir sind die irgendwie nicht... Einer von ihnen ist mit Wigald Boning verwandt, aber mehr fällt mir dazu jetzt auch nicht ein... 😉 Unser Campingplatz mit kuscheliger Hütte ist nicht mehr weit, und wir werden dort herzlich begrüßt. Bei 7 Grad feuchter Kälte mit Wind in ziemlich lebensfeindlicher Umgebung sind wir sehr froh über ein festes Dach über dem Kopf. Die 60 km heute waren die anstrengendsten der ganzen Reise (trotz 2 Akkus...), und darauf und auf den Tunnel müssen wir auf jeden Fall noch einen Schnaps trinken. Dann gönnen wir uns ein leckeres Abendessen vom Buffet im benachbarten Scandic-Hotel und beobachten staunend die Fütterung der Busladungen an Touristen auf der unteren Etage - jede Busladung hat genau 45 Minuten Zeit zu essen 🙈. Morgen soll das Wetter übrigens klarer werden - wenn das nicht mal zu unseren Plänen passt 😎😎!!!